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Blindenfußball: Worauf kommt es an und was macht ihn so besonders?
Im Interview mit Jens Hälker, Torhüter der BVB-Blindenfußballmannschaft

Jährlich am 3. Dezember findet der internationale Tag der Menschen mit Behinderung statt. Ein Anlass, um sich aktiv für die Gleichberechtigung, Barrierefreiheit und Chancengerechtigkeit in der Wirtschaft und Arbeitswelt für alle zu sensibilisieren. Jens Hälker, Torhüter und kaufmännischer Leiter der Blindenfußballmannschaft des BVB, berichtet uns im Interview von seinen persönlichen Erfahrungen im Kontext des Blindenfußballs. Er gibt uns einen Eindruck davon, was den Sport für Menschen mit Sehbehinderung so besonders macht.
Hallo Jens, vielen Dank, dass Du Dir die Zeit für dieses Interview nimmst! Erzähl uns doch bitte zu Beginn ein wenig über Deine Rolle als Mitglied der Blindenfußballmannschaft. Wie bist Du dazu gekommen? 
Da der Blindenfußballplatz des BVB im Dortmunder Vorort Kirchderne liegt und wir mit der Alte Herren Mannschaft von Viktoria Kirchderne seit vielen Jahren diesen Platz als Trainingsstätte nutzen, gab schon lange Berührungspunkte mit den Verantwortlichen des BVB. Vor einigen Jahren sprach der Abteilungsleiter des BVB (Hasan Caglikalp) mich dann an, ob ich nicht Lust hätte, als Ersatztorhüter beim Blindenfußball mitzumachen. Einige Tage später war ich dann bei meinem ersten Blindentraining. Zuvor hatte ich zwar schon mal ein Spiel der Blindenmannschaft gesehen, aber dort selbst zwischen den Pfosten zu stehen war nochmal ein völlig anderes Gefühl. 
In der Folge wuchs dann die Verantwortung. Nach einiger Zeit wurde ich von Hasan Caglikalp gefragt, ob ich mir vorstellen könne die Finanzen des Vereins gemeinsam mit ihm und seinem Stellvertreter Tobias Willmroth zu verwalten. Mit der Gründung der europäischen Liga (European Blind Football League) wurde ich dann zunächst Dolmetscher für die Telefonkonferenzen zur Gründung dieser Liga und anschließend auch für unsere Reisen nach Italien, England, Belgien, Frankreich, Griechenland und Rumänien. 
Seit Beginn dieses Jahres bin ich nun kaufmännischer Leiter des Integrationssports und kümmere mich im Ehrenamt mit den Beiden um alles Organisatorische rund um Blindenfußball und Torball – eine weitere Sportart für sehbehinderte Menschen beim BVB. 
Da diese Geschichte mittlerweile teilweise recht zeitaufwändig ist, bin ich froh, dass ich in meinem eigentlichen Job als Gruppenleiter in der internationalen Spedition des Logistikdienstleisters Dachser SE für die Reisen in der Europa League zeitlich unterstützt werde.
Was macht den Fußball für blinde und sehbehinderte Menschen so besonders? Gibt es spezielle Herausforderungen, die Du bei der Arbeit mit dieser Mannschaft immer wieder meistern musst? 
Für die Spieler*innen bedeutet der Blindenfußball, dass Sie ähnlich wie sehende Fußballer*innen ihrem Hobby nachgehen können. Natürlich benötigen sie dabei etwas Unterstützung, um die Abläufe zu beschleunigen. So versuchen wir beim BVB bei unseren Reisen in Deutschland und Europa immer ein relativ ausgeglichenes Verhältnis zwischen sehbehinderten Spieler*innen und sehenden Torhüter*innen, Trainier*innen, Guides und Staff herzustellen. Dies vereinfacht wie gesagt die Abläufe, wobei jede*r einzelne sehbehinderte Spieler*in des BVB komplett im Leben steht. Alle sind entweder Schüler*in, Student*in oder haben ein Job. Ein Großteil hat selbst Familie und teilweise wohnen sie auch ohne sehende Person als Paar zusammen. 
Die Hilfe beschränkt sich somit meist auf Begleitung an Bahnhöfen, Flughäfen, Hotels und natürlich im Restaurant am Buffet oder beim Vorlesen der Speisekarte. Alles andere schaffen die Spieler selbstverständlich selbst!  
Wie funktionieren das Training und das Spiel für blinde Fußballer*innen? Welche speziellen Trainingsmethoden kommen zum Einsatz und wie wird die Kommunikation auf dem Platz gehandhabt? 
Das Spiel findet auf einem 40x20 m großen Fußballplatz mit seitlicher Bande statt. Die Tore haben Hockeytorgröße und nur der*die Torhüter*in ist sehend. Alle vier Feldspieler*innen haben mindestens eine Sehbehinderung oder sind komplett blind. Um die Chancen auf dem Feld gleich zu haben, tragen alle Spieler*innen zusätzlich Eye-Pads (Augenpflaster) und eine Dunkelbrille. Somit sehen alle Feldspieler nichts und werden nur durch die Rasseln im Ball, die sehenden Torhüter*innen, die sehenden Trainer*innen auf Höhe der Mittellinie und den Hintertorguide der angreifenden Mannschaft angeleitet. Zusätzlich muss jede*r Spieler*in, der*die sich ohne Ball am Fuß auf dem Spielfeld bewegt, regelmäßig „voy“ (spanisch: „Ich komme“) rufen. All diese Informationen verarbeiten die Spieler*innen dann um ein Fußballspiel zu absolvieren. 
Wie wichtig ist Teamgeist für eine blinde Mannschaft und wie schaffst Du es, diesen Teamgeist zu fördern, besonders in einer Sportart wie Fußball. 
Teamgeist ist wie in allen Mannschaftssportarten extrem wichtig. Und dieser wird bei uns auch gelebt. Das fängt an, dass sich die Spieler*innen im Training und Spiel selbst gegenseitig durch Kommandos helfen und sich auch pushen.  
Außerdem kümmern sich die erfahrenen Spieler*innen im Training auch um die Nachwuchsspieler*innen und verraten ihnen Tipps und Tricks, wie diese ihr Spiel verbessern können. Für die 13-jährigen Nachwuchsspieler*innen ist es natürlich ein Highlight, wenn sie jede Woche mit mehreren Nationalspieler*innen trainieren dürfen. Im Blindenfußball gibt es nämlich weder eine Aufteilung von Jung und Alt noch von Frauen und Männern. Alle spielen zusammen in einem Team und somit sind wir ein bunt gemischter Haufen. 
Kannst Du uns ein Beispiel für ein besonders bewegendes oder herausforderndes Erlebnis während eines Trainings oder Spiels erzählen? 
In der abgelaufenen Bundesligasaison war das Highlight mit Sicherheit der 8:0 Derbysieg vor heimischem Publikum in Dortmund gegen den Vorortverein aus Gelsenkirchen (als gebürtiger Dortmunder kann ich den Namen leider nicht aussprechen 😊). Ich selbst durfte das Spiel von der Mittellinie aus guiden. Das bedeutet, dass ich unserer Mannschaft mit meinen Kommandos zum Sieg verhelfen konnte. 
Inwiefern hat sich das Fußballspiel für blinde und sehbehinderte Menschen in den letzten Jahren weiterentwickelt und welche Fortschritte siehst Du sowohl im sportlichen Bereich als auch in der gesellschaftlichen Wahrnehmung. 
Inhaltlich hat sich der Blindenfußball kaum verändert. Allerdings wird der Sport in den vergangenen Jahren immer professioneller organisiert. Am Anfang war der Blindenfußball in Dortmund noch eine Abteilung von Viktoria Kirchderne, doch seit einigen Jahren läuft das unter dem Namen und der guten Unterstützung von Borussia Dortmund. Wir bekommen dort vom Verein eine Riesenunterstützung und können uns Stück für Stück weiterentwickeln. 
Vor zwei Jahren haben wir gemeinsam mit Clubs aus Italien, Rumänien, Belgien und England die European Blind Football League gegründet. Ende dieses Monats gehen wir nun schon in die dritte Saison und haben mittlerweile auch Teams aus Griechenland und Frankreich dabei. Für alle Beteiligten, unabhängig ob sehbehindert oder nicht, ist dies eine tolle Erfahrung. 
Auch in der Öffentlichkeit hat sich einiges getan. Die Blindenfußballbundesliga hat in den letzten Jahren den ersten und letzten Spieltag auf zentralen Plätzen in deutschen Großstädten ausgetragen. So haben wir bereits mehrfach direkt neben dem Kölner Dom Blindenfußball spielen dürfen. Ebenfalls eine tolle Erfahrung, die natürlich auch Zuschauende anlockt. 
Unterstützt wird der Blindenfußball dabei natürlich durch den Verband und auch die Sepp-Herberger-Stiftung. Außerdem waren an den Finalspieltagen in den vergangenen Jahren immer Fernsehteams unterschiedlicher Sendeanstalten zu Besuch. Selbst in der ARD-Sportschau wurde mittlerweile schon mehrfach eine Zusammenfassung von Blindenfußball gezeigt. 
Was würdest Du Menschen empfehlen, die sich für den Fußball interessieren – sei es als Spieler*in oder als Betreuer*in? 
Jede*r in Deutschland, der*die Interesse an Blindenfußball oder auch Torball hat, ist willkommen. Wie gesagt, unabhängig von Alter und Geschlecht. Auch unsere Spieler*innen leben in verschiedensten Städten in Deutschland was den wöchentlichen Trainingsbetrieb in Dortmund manchmal etwas erschwert. Aber dafür organisieren wir regelmäßig Trainingscamps am Wochenende, um alle Spieler*innen zum gemeinsamen Training an Ort und Stelle zu haben. 
Wer also Interesse an einem der beiden Sportarten hat, soll sich gern bei uns melden: blindenfussball@bvb.de oder auch gern auf der Facebook-Seite vom BVB Integrationssport. 
Was ist Deiner Meinung nach im Umgang mit Menschen mit Seheinschränkung wichtig? 
Im Großen und Ganzen sind es Kleinigkeiten, die den sehbehinderten Menschen helfen und das Leben leichter machen. Die Menschen, die ich bisher kennenlernen durfte, stehen wie gesagt selbst komplett im Leben und brauchen eigentlich keine große Hilfe. Also sollte man einfach aufmerksam sein, dann sieht man schon mit welchen kleinen Handlungen und Gesten man ihnen helfen kann. 
Zum Abschluss: Was ist für Dich der größte Moment der Freude, wenn Du mit Deiner Mannschaft arbeitest? 
Wir funktionieren als Mannschaft und helfen uns gegenseitig. Dabei ist diese Hilfe ja nicht einseitig. Auch die blinden und sehbehinderten Menschen helfen uns durch ihre Handlungen. Und am Ende des Tages ist es dann gar nicht wichtig, wer wem hilft …. So wie es in jeder Mannschaft sein sollte.  Der größte Moment der Freude liegt dabei hoffentlich noch vor uns. Aktuell arbeiten wir im Training recht hart und wollen in den kommenden Jahren dann auch endlich die erste deutsche Meisterschaft im Blindenfußball in die Fußballhauptstadt holen.